[Aus: Geistiges und Künstlerisches München in Selbstbiographien, hersg. W.-Zils München, Kellers Verlag, München 1913], Bilder aus dem Heisenberg Familien Archiv.
Nach einem Jahr stand der Entschluss fest, in Bayern zu bleiben. Ein Sommersemester 90 in Leipzig, wohin ich auf Wunsch meiner Angehörigen ging, da meine Zukunftspläne einerlei Bedenken wachriefen, bestärkte nur meine Absicht; nach weiteren zwei Münchner Semestern erwarb ich die bayrische Staatsangehörigkeit und bestand mit Glück das erste Staatsexamen.
Es folgten dann
frohe Jahre der ersten selbständigen wissenschaftlichen Arbeit. Dazu machte ich
am Maximiliansgymnasium in München freiwillig
ein pädagogisches Praktikum durch; denn das Lehramt interessierte mich, auch
Privatstunden waren mir nicht beschwerlich. Bald nach dem Staatsexamen hatte eine
kurze Studienreise mich in die Bibliotheken von Oberitalien bis nach Florenz
geführt. Meine erste Anstellung als Lehrer erhielt ich am Gymnasium zu Landau
in der Pfalz, doch wurde ich schon nach anderthalb Jahren wieder nach München
an das Maximiliansgymnasium versetzt. Der Staatskonkurs und das Rigorosum waren
inzwischen auch absolviert und die wissenschaftliche Arbeit nahm bestimmter die
Richtung auf die byzantinische Geschichtschreibung. Noch einmal unterbrach das
Militärjahr den geraden Weg der Studien; ich wurde in meiner Heimat Osnabrück
Soldat im Ostfriesischen Infanterie Regiment Nr. 7s. Es war nicht ganz leicht,
während des Dienstes die Zeit zu finden, um Druckbogen meiner Blemmydesausgabe
zu korrigieren, die damals erschien; aber ich machte Felddienst mit dem
gleichen Vergnügen wie Emendationen und bin auch späterhin bei meinen wackeren
Ostfriesen immer mit grösster Freude Soldat gewesen; als ich vor kurzem als
Oberleutnant der Landwehr um meinen Abschied bat, geschah es mit schwerem
Herzen.
Nach kurzer Lehrtätigkeit am
Maximiliansgymnasium verlebte ich als Studienlehrer ein glückliches Jahr in
Lindau, erhielt unterdessen das bayerische archäologische Staatsstipendium und
verbrachte den Herbst und Winter 93 in Italien, den Frühling 94 in
Griechenland. Mit grösster Begeisterung widmete ich mich dem Studium der
antiken und mittelalterlichen Kunst, durchsuchte ausserdem aber die Bibliotheken
der griechischen Handschriften in Italien nach unbekannten Schätzen; in
Griechenland lernte ich zuerst die Werke
der byzantinischen Kunst kennen. Da ich leidlich Griechisch sprechen konnte,
fuhr ich nach der einsamen Insel Skyros und studierte hier in einem Aufenthalt
von sechs Wochen den einheimischen modernen Dialekt. Der Verkehr mit dem
klugen, liebenswürdigen und tüchtigen Volk der Griechen und später ein
Aufenthalt in Konstantinopel mit seinen gewaltigen Denkmälern der
mittelalterlichen Kultur von Byzanz entschieden über meine Zukunft. Ich
verliess Griechenland mit dem Entschluss, der Erforschung der mittel= und
neugriechischen Kultur fortan meine ganze Kraft zu widmen.
Wenige Tage nach der Rückkehr in die Heimat führte ich in München die älteste Tochter Annie des Rektors vom Maximilians-gymnasium, der Philologen und hervorragenden Kenners der griechischen Tragiker, Nikolaus Wecklein und seiner Frau Magda, einer Tochter des bekannten Schriftstellers und Ästethikers Adolf Zeising, als Gattin heim. Während meines Aufenthalts in Athen hatte mich die Nachricht von meiner Versetzung von Lindau an das Luitpoldgymnasium in München erreicht; aber schon nach zwei Jahren siedelten wir nach Würzburg über. Dort wurde ich, wie ich es gewünscht hatte Gymnasiallehrer an dem Gymnasium und gleichzeitig Privatdozent für mittel- und neugriechische Philologie an der Universität.
Acht Jahre habe
ich in Würzburg gelebt, von 01-09, manches Gute erfahren und einige treue
Freunde fürs Leben gewonnen. Zu dem am 10 März 1900 in München geborenen Knaben
Erwin gesellte sich am 5.Dezember (19)01 in Würzburg ein Bruder, Werner. Die
Würzburger Zeit war schwer infolge des doppelten Berufes. Freilich bin ich
stets mit Freuden Lehrer gewesen, darin glücklicher als viele andere Männer,
denen bei einem starken Interesse für wissenschaft-liche Arbeit der
Schulunterricht nur eine widerwillig getragene Last ist. Das war er mir nie.
Wohl habe ich gelegentlich gelitten unter der Wirkung engen bureaukratischen
Geistes, der sich im Gymnasial-dienst bemerkbar machte, noch mehr unter den
vielen Sorgen, die der gesamte Stand der Gymnasiallehrer Bayerns wegen seiner
sozialen Stellung hegt und die ich durchaus als die meinen empfinde. Aber der
Verkehr mit den Schülern, der Unterricht selbst, ist mir in niederen wie oberen
Klassen des Gymnasiums stets eine ungetrübte Quelle reiner Befriedigung
gewesen. Meine Schüler und ich haben uns immer wundervoll verstanden, nicht der
leiseste Misston trübt mir die Erinnerung an sie, deren Anhänglichkeit ich
jetzt oft mit Freuden empfinde. Aber weil ich die Schule nicht vernachlässigen
und doch die Vorlesungen gründlich vorbereiten, ausserdem aber mich an der
wissenschaftlichen Arbeit weiter beteiligen wollte, musste die Arbeitszeit
gedehnt werden bis weit über den Tag hinaus; es ist verzeihlich, wenn ich
zuweilen mein Schicksal mit dem der glücklicheren Philologen verglich, die
ihre ganze Kraft und Zeit in den Dienst der Wissenschaft allein stecken
konnten. Doch ging es trotz der Schwierigkeiten vorwärts. Die Ausgabe des
Akropolites erschien (03), dann machte ich mich an die Bearbeitung des
und
Nikolaos Mesarites, eines vorher unbekannten Schrifstellers aus dem ..
Jahrhundert die ich in der Ambrosiana zu Mailand entdeckt hatte. Über seine
Perse. und
andere
sche Probleme hatte ich in den Analecta (01) gearbeitet.
Die Palast-revolution des Johannes Komnenos von Mesarites veröffent-lichte
ich im Jahre 07. Fünf Jahre verwendete ich auf die Bearbeitung einer anderen
Schrift des Mannes, einer Beschreibung der von Justinian erbauten, jetzt vom
Erdboden verschwundenen Apostelkirche in Konstantinopel. Diese Schrift wurde
der Anlass, dass ich das grosse P.. der byzantinischen Architektur und Malerei
durcharbeitete, mit ihrer Geschichte und weiter mit ihren Vorstufen in der
altchristlichen Kunst mich vertraut machte, ausserdem von der Apostelkirche
Justinians zu ihrer Vorgängerin, einer Kirche Konstantins, gelangte und wieder
von dieser zu der berühmtesten Kirche der alten Christenheit, der Grabeskirche
in Jerusalem. Ein scharfes Anfassen von kunsthistorischen Fragen führte weiter
zu religions-geschichtlichen Problemen aus der Werdezeit des Christentums. Von
diesen weitverzweigten Studien legen
die zwei Bände der Grabeskirche und Apostelkirche Zeugnis ab, die im Jahre 08
erschienen sind.
An der Universität Würzburg war es allmählich gelungen, den mittel- und neugriechischen Studien Anhänger unter den Studierenden zu gewinnen. Ein kleiner Bücherbestand war mit der Zeit geschaffen worden, dann auch eine Art Seminar, in dem fleissig gearbeitet wurde; die Universität beschloss ein Extraordinariat für mein Fach zu gründen. Da starb am 12. Dezember 09 mein Lehrer, Karl Krumbacher, und ich wurde als Nachfolger an unsere Universität berufen; seit dem Jahre 11 gehöre ich der Bayerischen Akademie der Wissenschaften als a.o. Mitglied an.
Die Aufgaben,
die ich in München zu erfüllen habe, liegen mir klar vor Augen: es ist mit
einem Worte die Erhaltung und Fortsetzung des grossen Werkes, das Karl
Krumbacher als Begründer der modernen mittel- und neugriechischen Philologie
geschaffen hat. Im Mittelpunkt steht das mittel- und neugriechische Seminar an
unserer Universität, das nicht nur eine philologisch-historische Schule für
junge Studierende, sondern ausserdem und vor allen Dingen Forschungs-institut
sein soll. Es ist bis jetzt das einzige seiner Art in Europa und enthält,
besonders seitdem ihm Krumbacher letztwillig seine Bücherschätze überwiesen
hat, eine unvergleichliche Spezial-bibliothek, die sich lebhafter Fürsorge von
seiten des Staates und der Universität erfreut. Sie bedarf insbesondere nach
der kunsthistorischen Seite hin noch des Ausbaus, wird aber auch jetzt schon
alljährlich von einer auserlesenen Schar von Gelehrten aufgesucht. Meine
Lehrtätigkeit fanden das Schwergewicht im Seminar; daneben versuche ich in den
auf dem Gebiete der Sprache und Literatur, Kunst und
Geschichte meinen Zuhörern nahe zu bringen und treibe mit besonderer Liebe
historische Grammatik. Vorbedingung für alles selbständige Arbeiten in der
byzantinischen Philologie ist die Vertrautheit mit den Denkmälern der
literarischen Überlieferung, den griechischen Handschriften, und mit der Kunst
der Entzifferung. Nirgends in Deutschland aber ist die Gelegenheit zu Studien
in der griechischen Paläographie so wundervoll geboten wie in München, wo
unsere Hof- und Staatsbibliothek ihre kostbaren Schätze griechischer
Handschriften birgt. Der ganze Reichtum dieser Sammlung ist heute noch bei
weitem nicht ausgeschöpft, er muss in vieler Beziehung erst erschlossen werden.
Der grössere Teil der hier in Handschriften aufbewahrten Denkmäler gehört der
byzantinischen Literatur an, aber auch die Überlieferungsgeschichte des
griechischen Mittelalters. So habe ich nach
Pregers Tode (10) gern die
Aufgabe übernommen, den von ihm begonnenen wissenschaftlichen Katalog der
griechischen Handschriften weiter-zuführen, doch wird die Arbeit noch mehrere
Jahre in Anspruch nehmen.
Auch
andere grosse Aufgaben bleiben ausserdem zu erledigen. Die Bayerische Akademie
der Wissenschaften hegt die mittel- und neugriechischen Studien mit besonderer
Fürsorge, die Mittel der Thereianosstiftung werden ihnen in reichlichem Masse
zugewendet. Mit Unterstützung unserer Akademie gründete Krumbacher im Jahre 92
die Byzantinische Zeitschrift, die durch ihn allmählich das internationale
Zentralorgan für die byzantinischen Studien geworden ist. Seit Krumbachers Tode
ist ihre Leitung von der Akademie mir anvertraut worden, ausgezeichnete
Mitarbeiter helfen die Zeitschrift in den bewährten Bahnen weiterzuführen.
Unsere Akademie beteiligt sich eifrig an den Unternehmungen der Association internationale des academies. Insbesondere hat sie es im Verein mit der Wiener Akademie der Wissenschaften übernommen, ein umfassendes Corpus de griechischen Urkunden des Mittelalters und der Neuzeit zu schaffen, das für die Erforschung der Geschichte des osteuropäischen Mittelalters von grösster Bedeutung sein wird. Die Arbeiten sind bisher über vorbereitende Massnahmen und Sammlung des Materials nicht hinausgekommen, doch lassen sich bereits einzelne Aufgaben bestimmter umgrenzen, so dass die Arbeit voraussichtlich bald lebhaft in Fluss kommen wird.
Die
Beziehungen von München zum neuen Griechenland waren einst ganz besonders eng;
die Begeisterung König Ludwigs I. für die Freiheit von Hellas und seine Hingabe
an die edlen Gedanken des Philhellenismus bilden ein Ankerplatz in der
Geschichte Bayerns und seines Königshauses. Seit jener Zeit hat die Pflege der
mittel- und neugriechischen Philologie in München niemals aufgehört; weder im
Ausland noch anderswo in Deutschland ist ihr solche Fürsorge zuteil geworden
wie gerade hier. Nur München besitzt von den deutschen Universitäten eine
die diese Wissenschaft, die hier seit einem Jahrhundert durch Männer wie
,
,
Christ, Krumbacher ununterbrochen die eifrigste Pflege gefunden
Nicht etwas
Neues gilt es jetzt zu schaffen, sondern auf der alten Grundlage weiterzubauen
und das grosse Werk nach allen Seiten auszugestalten.
August im Jahre 1929