Gern mein liebes Margdchen erfülle ich Deinen Wunsch und will Dir von Papas Kindheit an und seiner Entwicklung erzählen, denn keiner kann es ja besser wissen als ich, wenn ich leider auch nicht die Jahres-zahl der besonders hervortretenden Perioden genau mehr zu bezeichnen weiss. Manche Zahl, werdet ihr euch wenn es nötig ist, vielleicht selbst nach Mittheilung der verschiedenen Begebenheiten und Erlebnissen heraus machen können was mir jetzt nicht gut möglich ist da auch ich von der Gemütsbewegung und Auf-regungen durch die vielen Theilnahm bezeugenden Besuche in hohem Grade geistig wie körperlich angegriffen und abgespannt bin.
Also beginne ich
mit unseren guten Eltern. Unser Vater gebürtig aus Herrnburg in der Nähe von
Braunschweig, August Zeising war Cammermusikus zu Ballenstedt am Harz, in der
damals durch besonders tüchtigen Mäzen in der Kunst, besetzten Capelle des
regierenden Herzogs Alexis Friedrich Christian, er war Künstler im wahren Sinn
des Wortes denn er lebte nur für die Sinne; er war Violinspieler, was er mit
Begeisterung und Feuer wie mit dem tiefsten Verständnis trieb denn sein Spiel
zeichnete sich nicht nur durch grösste practische Fertigkeit aus sondern sein
seelenvoller von tiefsten Empfindungen durchdrungener Vortrag riss die Zuhörer
mit sich. Er hatte seine musikalische Ausbildung in Braunschweig bei einem
damals nahmhaften Musicus u. Violinist, Nahmens Spor, erhalten, hatte
wahrscheinlich dann noch mehre Jahre in
der dortigen Capella mitgewirkt denn ich habe nie gehört, dass er von da bis
zum Antritt seiner Kunstreisen irgend in einer Stellung thätig gewesen sei.
Zunächst durchreiste er natürlich Deutschland dann
1803
verheiratete er sich mit unserer guten Mutter, sie war die 2te Frau und hatte
aus erster Ehe 3 Kinder. War das älteste ein Sohn, blieb 1812 und 1813 in
Russland, das 2 eine Tochter starb leider schon in den ersten Jahren und die
andere Tochter verheiratete sich nach des Vaters Tode ist aber auch schon seit
einer langen Reihe von Jahren heim gegangen. 1804 wurde meine älteste
Schwester, welche gleichfalls in früher Kindheit starb, 1806 ich geboren dann
folgten 1808 2 Zwillings Schwesterchen welche aber nur einige Stunden das Licht
der Welt erblickten und 1810 wurde dein guter Papa geboren und wurde von den
Eltern mit Jubel und Freude begrüsst. Doch hat auch er durch vieles kranksein
den Eltern viel Sorge und Angst bereitet denn mit dem 5ten Jahr lernte er noch wieder zum 2ten male gehen. Dafür
kam er auch später als es bei kräftigen Kindern zu geschehen pflegt zum
Schulbesuch, da er aber schon frühe viel Lern und Wissbegier zeigte ihm
Bilderbücher und ihm Geschichten durchaus vorlesen die liebste Unterhaltung
waren, so liessen ihn die Eltern mit mir zusammen, durch Privatunterricht im
elterlichen Hause in den ersten Anfangsgründen unterrichten. Er fasste leicht
und schnell und der Vater verfolgte mit innigster Freude seine Fortschritte und
als er musst die öffentliche Schule besuchen wurde der Eifer noch grösser,
wodurch er sich auch stets die Zufriedenheit der Lehrer und Liebe seiner
Mitschüler erwarb. Leider sollte der gute Vater diese Freude nicht lange
geniessen, denn schon 1817, wurde er uns durch den Todt entrissen (in seinem
67ten Lebensjahr; er war bedeutend älter als die Mutter.) Von da an kehrten
bittere Sorgen besonders um des guten Bubens fernere Ausbildung bei uns ein;
das die seelige Mutter eine kleine Gnadenpension vom Herzog Alexis
Friedr.Christian bezog habe ich dir bereits geschrieben auch dass sie für 3
Personen lange nicht ausreichte, aber so lange wir in Ballenstedt leben konnten
ging es noch an, wenigstens wurden dort keine Kabalen und Intriegen gegen sein
weiter vorwärts kommen geschmiedet. Sein eifriges Streben auf höheres Wissen so
wie sein Sinn für Kunst und Poesie traten nun lebhafter in den Vordergrund,
denn wenn ihm ein schönes Gedicht zu Gesicht kam so musste es auch
abgeschrieben werden, weil die Mutter solche Bücher nicht verschaffen konnte,
und auf solche Weise hat er diese Bücher voll geschrieben. Als er nun dort noch
die Bürgerschule dann die Rectorschule durchgemacht und in der Schlosskirche
confirmiert war, siedelte die Mutter um ihm den Besuch des hiesigen Gymnasiums
zu ermöglichen hier her über; und er wurde in die Classe kl.Tertia aufgenommen,
und da er durch seinen grossen Fleiss und Liebe zum Wissen grosse Fortschritte
machte, kam er bei der nächsten Versetzung schon nach gross Tertia, da kannst
du unsere und seine Freude dir denken und er liess es natürlich auch ferner
nicht am Fleiss und Eifer fehlen und er kam wirklich das nächste mal mit auf
unter Sekunda, was ihm und uns besonders lieb war weil es damals hier an der
Anstalt Sitte war, dass die Schüler in ober Sekunda ein ganzes Jahr bleiben;
natürlich lag ihm nun viel daran beim Nächstenmal mit nach ober Secunda mit
hinüber zu kommen, aber das war dann doch für einen gewissen Geistlichen hier,
der zugleich E..rus am Gymnasium und Mitglied des Consortiums war und mit
dessen beiden Söhnen der Bruder viel umging zu viel; der älteste der etwas älter
als der Bruder war sass ja auch noch in ober Secunda; wie konnte er da zugeben
dass der arme Adolf auch schon hin kam? Die beiden jungen Leute waren übrigens
auch keineswegs unbefähigt, aber ihr Vater hatte ja Geld genug warum hätten sie
sich auch so anstrengn sollen? Freilich hatten sie die Anstalt von Anfang an
besucht und bed. noch ein halbjahr nach der Confirmation, kurz der stolze Mann
hatte aus Neid und Furcht Ad. könne seine Söhne überflügeln, es hintertrieben
und der trostlose Bruder wurde nicht mit versetzt worauf er und alle seine
Mitschüler mit Gewissheit gerechnet hatten. Aber dies war nun auch für die gute
Mutter zu viel und sie verlangte nun dass der arme Adolf von der Schule abgehe
und sich einen anderen Beruf wählen solle, dies könne ihn vielleicht ein ganzes
Jahr auch halten und sie fühle dass ihre Kräfte nicht mehr ausreichten und so
entschied er sich dann gebrochenen Herzens dann am liebsten Apotheker zu
werden; hierrauf geht die Mut. zum Director des Gymnasiums und zeigt ihm an
dass ihr Sohn von der Anstalt abgehe worauf der selbe ganz bestürzt ausruft
aber beste M.Z. das werden sie doch nicht thun bedenken sie doch die herrlichen
Geistesgaben dürfen doch nicht unter gehen, unseren besten Schüler dürfen sie
uns nicht nehmen, so erwidert d.M. wenn sie mir selbst dies sagen dann frage
ich warum ist er dann nicht versetzt? Da zuckt er mit Achseln und sagt mein
Gott ich allein kann ja nicht alles durchsetzen. D.M. bleibt aber dabei in dem
sie ihm ihre Gründe auseinander setzt. Und so ist er wirklich ein ¼ Jahr in der
ersten Apotheke hier zur gewussten Zufriedenheit des Prizipals auf Probe
gewesen, denn der Mutter war doch zu angst er könne sich am Ende doch sehr
unglücklich über die Enttäuschung fühlen. Er trug es mit stiller Ergebung und wäre
auch wohl wenn es sein musste ohne Murren dabei geblieben, als aber die M. die
Bedingungen hörte die der Prinzipal stellte, wenn er ihn fest als Lehrling
aufnahm, da erkannte sie dass sie doch auch noch nicht mit weniger Sorgen zu
kämpfen haben würde und verlangte von dem lieben guten Bruder das Opfer nicht
und als sie ihm nun wieder freie Wahl liess kehrte er freudigen Herzens zum
Gymnasium zurück, wo er dann auch gleich nach ober Secunda versetzt wurde. Er
hatte aber auch während der Probezeit die freien Stunden nicht unbenutzt
gelassen hatte sich viel mit Poesie beschäftigt; hatte die besonders schöne
Reihe von Lieblingsplätzen im Ballenstedter Schlossgarten in wirklich
allerliebsten kl. Gedichten besungen, welche er schon von Secunda aus dem
Herzog zum Geburtstage, sauber geschrieben übersandte. Mit welcher Spannung wir
nun dem Ergebnis dieses Unternehmens entgegen sahen, kannst du dir denken und
es währte dann auch nicht lange als ein Schreiben mit Herzg. Siegel und
Aufschrift an den Gymnasiasten A.Zeising ankam worin ihm vom Herzogl. Canzlei
angezeigt wurde, dass sie von Sr. Durchl. dem Herzog Befehl erhalten ihm seinen
Dank für die ihm übersandten hübschen Gedichtchen, nebst einem beigefügten kl.
Honorar zu übermitteln und zwar mit dem Bemerken, dass wenn er fortfahre auch
mit Fleiss zu arbeiten und gute Fortschritte mache, ihm alljährlich diese kl.
Summe, solange er das Gymnasium besuche, ausgezahlt werden solle. Dies war dann
doch noch ein kl. Trost, der auch einige Hoffnung erweckte, die sich auch als
er sein Abiturienten Examen mit der Ersten Nummer abgelegt hatte bewährte, denn
als er sich dann mit dem Gesuche um Unterstützung auf der Universität an den
Herzog wandte, gewährte ihm der menschenfreundliche Regent sofort 100 g
jährlich; und mit diesem und den üblichen Landes-Stipendien etw. 50 g und einem
kleinen Familien Stipendium, ich glaube ebenfalls 50 g jährlich betragend, was
ihm von einem jungen Manne der sich damals hier aufhielt angetragen wurde, weil
gerade in der Familie zur Zeit kein studierendes Mitglied vorhanden war, bezog
er die Berliner Universität, nach dem ersten Semester ging er dann auf unser
dringendes Bitten nach Halle, weil in Berlin da die Cholera furchtbar wütete;
aber gleich nach einigen Wochen brach sie auch dort in erschreckender Weise
aus, doch blieb er mit dem Versprechen alles zu vermeiden was eine Erkrankung
herbei führen könne und uns fleissig Nachricht zu geben, dort. Aber das letzte
Jahr ging er wieder nach
Da mit einem Male verbreitete sich das Gerücht der älteste Sohn des bezeichneten Geistlichen treibe so sonderbare Dinge, das man unmöglich glauben könne es sei ganz richtig mit seinem Verstande; dieser, der ganze Stolz des Vaters, denn der jüngere war auch schon brustkrank, der sich auch nie um eine Stelle beworben hat, da Vermögen genug da war, aber mit diesem hatte er wohl hohe Pläne mit sich herum getragen, das war also ein jähes zusammensinken derselben, denn diese Sympthome nahmen mit rasender Schnelligkeit zu und der arme unglücklichen Mann verfiel in völligen Stumpfsinn; mich schaudert wenn ich daran denke. Da brach aber auch der Vater zusammen, das Gewissen schien zu erwachen, es war in der Zeit wo ich auch gerade so leidend war, da schickte er das schönste Obst aus seinem Garten und Wein zu meiner Stärkung, da fand sich auch eine Stelle für d. Papa wenn auch nur an der höheren Töchter-Schule. So unpassend nun auch diese Stelle für sein Wissen war, so nahm er sie doch an und hat sie, ich weiss nicht mehr genau, 1 od. 2 Jahr bekleidet. Dann kam der jetzt noch lebende General-Supperidendant Walther hier an die Spitze des Consistoriums, und als dieser Papa kennen gelernt, hat er sich förmlich entrüstet geäussert wie man einem so begabten mit so reichen Kenntnissen ausgestatten Mann eine solche Stelle habe geben können. Da würden seine Kenntniss ja gar nicht verwerthet? Das sei ja ein Betrug gegen den Staat! Und kurze Zeit darauf bekam er dann auch Stellung am Gymnasium, zuerst als Classen Lehrer von Tertia, dann Secunda.
Als er nun seine Stellung am Gymn. hatte, war es sowohl der Mutter als mein grösster Wunsch, das er sich verheiraten müsste da wir beide fühlten, dass unsere Kräfte nicht mehr ausreichen wollten; er selbst sah ja auch, wie schwer es uns wurde auch war er ja selbst durch die vielen Hindernisse welche er hatte überwinden müssen in ein Alter gekommen, wo das Verlangen ein eigenes Haus zu gründen nur zu verständlich war, und diese deine Mama, schon als sie noch seine Schülerin war angezogen hatte, (denn er hat uns öfter Aufsätze von ihr vorgelesen, wenn er die Hefte für Schule in seiner Wohnung durch sah) und er etwas später auch durch die Grossmama Petri in ihre Familie eingeführt war, so theilte er uns auch bald im Vertrauen mit was seine Absicht war.
Die Verlobung fand im Herbst 1842, die Hochzeit im Juli 1843 statt; doch dies wie alles Übrige weiss ja deine l. Mama selbst am besten. - Unsere gute Mutter war gebürtig aus Hoym einem Städtchen wo ihr Vater Amts-Chirurgus war. Sie war dem Vater eine treue Lebensgefährtin und wackere Hausfrau wie für uns eine sorgsame Mutter. Sie wusste durch ihre Geschicklichkeit, Fleiss und Ordnungsliebe manches zu sparen und so den Hausstand mit Wenigem auf das verständigste zu führen.
So
habe ich dir denn mein liebes Magdchen den ganzen Lebenslauf unserer guten
Eltern wie den deines lieben guten Papas, so weit meine Erinnerungen sehn,
wahrheits getreu geschildert und ich muss bloss fürchten, dass dir diese lange
Epistel zu langweilig wird, da ich aber nicht wusste, was dir besonders zu
wissen wünschend werth sei, so habe ich dir lieber Alles geschrieben; nimm nun
daraus was dir gut deucht. Wirst du es dann aber auch lesen können? Was die
alte 70 jährige Tante, oft mit Thränen in den ohnehin so schwachen Augen und
unsicherer Hand geschrieben? Lies es mit Nachsicht, achte der vielen
Schreibfehler nicht denn auch ich befinde
Ich stelle es dir nun ganz frei, ob du dies Ganze der Mama zu schicken willst oder wenn es zu viel scheint nur das wichtigste daraus mitzutheilen. Ich nicht, dass mir diese Mitteilungen nicht leicht geworden denn du kannst wohl denken, dass die Erinnerung an all dies Erlebten nicht ohne Gemütsbewegung und tiefer Wehmut an mir vorüber gehn konnte; doch ist es mir selbst recht lieb, dass es noch geschehen konnte, damit deine gute Mama, wie Du und Käthchen doch mal einen tieferen Blick in unsere Vergangenheit thun könnte. Wenn wir uns sprechen könnten, würde sich auch immer etwas zu fragen finden denn die Sorge und Angst, die das Jahr 48, der g. Mutter und ihm erbrachte, kennt nur Gott; und mein Schmerz als deine g. Eltern von hier fort gingen lässt sich nicht beschreiben. Aber doch sage ich jetzt mit dankbarem Herzen, Gott hat alles wohl gemacht! Denn hier konnte er sich den Verfolgungen nicht länger aussetzen. Möge er nun in Frieden ruhn der theure Bruder und ihm all die Seligkeit zu theil werden, wie er sie sich so schön in jener Welt gedacht hat.
Aber bei den vielen trüben Erinnerungen will ich auch der frohen und guten Tage und Stunden, die uns dennoch geblieben waren nicht vergessen, wozu der uns vom g. Vater angeerbte frohe und zufriedene Sinn beitrug, wie sich überhaupt in der Jugend auch das Leid leichter trägt. Noch immer gedenke ich der genussreichen Abende, welche er uns durch vorlesen deutscher wie englischer Classiker bereitete wobei er uns stets zum richtigen Verständnis verhalf; ich habe damals manches von ihm gelernt, wehalb ich später seinen Umgang auch schmerzlich vermisst habe.
Sein Tod hat durchaus für recht viel Theilnahme erregt. Es haben mir mehrere Damen, mit denen ich sonst gar nicht verkehre Besuch gemacht und seiner ehrend gedacht, selbst auf der Strasse bin ich in solcher Weise angeredet. Ich hatte seinen Heimgang in unserm Tagsblatt angezeigt, wobei gleichzeitig beifolgender Artikel erschien; bitte sende ihn d.g.Mama mit, es macht ihr u. Käthchen vielleicht etwas Freude.
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