Erinnerungen von Lina Zeising
  (Anmerkung von J.H.: Die Schreiberin ist die Schwester von Adolf Zeising. Der Brief ist an Margarethe Wecklein, geb. Zeising, adressiert, Tochter von Adolf Zeising und Grossmutter von Werner Heisenberg.)

 

 

Text Box:  Adolf Zeising

Gern mein liebes Margdchen erfülle ich Deinen Wunsch und will Dir von Papas Kindheit an und seiner Entwicklung erzählen, denn keiner kann es ja besser wissen als ich, wenn ich leider auch nicht die Jahres-zahl der besonders hervortretenden Perioden genau mehr zu bezeichnen weiss. Manche Zahl, werdet ihr euch wenn es nötig ist, vielleicht selbst nach Mittheilung der verschiedenen Begebenheiten und Erlebnissen heraus machen können was mir jetzt nicht gut möglich ist da auch ich von der Gemütsbewegung und Auf-regungen durch die vielen Theilnahm bezeugenden Besuche in hohem Grade geistig wie körperlich angegriffen und abgespannt bin.

 

Also beginne ich mit unseren guten Eltern. Unser Vater gebürtig aus Herrnburg in der Nähe von Braunschweig, August Zeising war Cammermusikus zu Ballenstedt am Harz, in der damals durch besonders tüchtigen Mäzen in der Kunst, besetzten Capelle des regierenden Herzogs Alexis Friedrich Christian, er war Künstler im wahren Sinn des Wortes denn er lebte nur für die Sinne; er war Violinspieler, was er mit Begeisterung und Feuer wie mit dem tiefsten Verständnis trieb denn sein Spiel zeichnete sich nicht nur durch grösste practische Fertigkeit aus sondern sein seelenvoller von tiefsten Empfindungen durchdrungener Vortrag riss die Zuhörer mit sich. Er hatte seine musikalische Ausbildung in Braunschweig bei einem damals nahmhaften Musicus u. Violinist, Nahmens Spor, erhalten, hatte wahrscheinlich dann noch  mehre Jahre in der dortigen Capella mitgewirkt denn ich habe nie gehört, dass er von da bis zum Antritt seiner Kunstreisen irgend in einer Stellung thätig gewesen sei. Zunächst durchreiste er natürlich Deutschland dann Holland immer allein und selbständig (denn ich habe nie von einem Begleiter etwas gehört) in grosseren Städten Concerte gebend wobei er überall mit Anerkennung ja mit Enthusiasmus begrüsst ist. Besonders war ihm die Erinnerung von Amsterdam eine Angenehme wo er noch längere Zeit verweilt hat. Durch diese glücklichen Erfolge ermutigt, segelte er von da nach Westindien über, wo er 11 Jahre unter den  angenehmsten Verhältnissen theils Concerte gebebnd, theils Unterricht gebend in den angesehendsten Familien unter steter Anerkennung und Auszeichnung verlebt hat. Die Sehnsucht nach seinem Vaterlande und Heim hat ihn dann aber doch wieder nach Europa und Deutschland zurückgetrieben, zuerst natürlich nach seiner Vaterstadt wo er aber zu seiner Betrübnis keinen mehr lebend von den Seinen vorfand, dann nach Braunschweig nach der Stätte seiner Ausbildung, wo er hörte, wie gut die Ballenstedter Capelle bezahlt sei und das sowohl am Hofe wie im Städtchen selbst viel Kunstsinn herrschte, so reiste er hin um sich selbst davon zu überzeugen und als er selbst dort 2 Concerte gegeben lässt der Fürst durch den Indendanten der Capelle bei ihm anfragen, ob er nicht geneigt wäre Stellung an der dortigen Capelle zu nehmen, wenn ihm das Gehalt nicht zu gering wäre denn leider könne … nicht mehr als 300 g Gold als kleiner Fürst bieten, übrigens würde es ihm in Ballenstedt gewiss gefallen. Und des unsteten Lebens müde hat er es dann auch angenommen und es hat ihn auch bei seinem zufriedenem Sinn nie Leid gethan denn er hat nicht nur Anerkennung sondern auch Liebe und Achtung genossen.

                1803 verheiratete er sich mit unserer guten Mutter, sie war die 2te Frau und hatte aus erster Ehe 3 Kinder. War das älteste ein Sohn, blieb 1812 und 1813 in Russland, das 2 eine Tochter starb leider schon in den ersten Jahren und die andere Tochter verheiratete sich nach des Vaters Tode ist aber auch schon seit einer langen Reihe von Jahren heim gegangen. 1804 wurde meine älteste Schwester, welche gleichfalls in früher Kindheit starb, 1806 ich geboren dann folgten 1808 2 Zwillings Schwesterchen welche aber nur einige Stunden das Licht der Welt erblickten und 1810 wurde dein guter Papa geboren und wurde von den Eltern mit Jubel und Freude begrüsst. Doch hat auch er durch vieles kranksein den Eltern viel Sorge und Angst bereitet denn mit dem 5ten Jahr  lernte er noch wieder zum 2ten male gehen. Dafür kam er auch später als es bei kräftigen Kindern zu geschehen pflegt zum Schulbesuch, da er aber schon frühe viel Lern und Wissbegier zeigte ihm Bilderbücher und ihm Geschichten durchaus vorlesen die liebste Unterhaltung waren, so liessen ihn die Eltern mit mir zusammen, durch Privatunterricht im elterlichen Hause in den ersten Anfangsgründen unterrichten. Er fasste leicht und schnell und der Vater verfolgte mit innigster Freude seine Fortschritte und als er musst die öffentliche Schule besuchen wurde der Eifer noch grösser, wodurch er sich auch stets die Zufriedenheit der Lehrer und Liebe seiner Mitschüler erwarb. Leider sollte der gute Vater diese Freude nicht lange geniessen, denn schon 1817, wurde er uns durch den Todt entrissen (in seinem 67ten Lebensjahr; er war bedeutend älter als die Mutter.) Von da an kehrten bittere Sorgen besonders um des guten Bubens fernere Ausbildung bei uns ein; das die seelige Mutter eine kleine Gnadenpension vom Herzog Alexis Friedr.Christian bezog habe ich dir bereits geschrieben auch dass sie für 3 Personen lange nicht ausreichte, aber so lange wir in Ballenstedt leben konnten ging es noch an, wenigstens wurden dort keine Kabalen und Intriegen gegen sein weiter vorwärts kommen geschmiedet. Sein eifriges Streben auf höheres Wissen so wie sein Sinn für Kunst und Poesie traten nun lebhafter in den Vordergrund, denn wenn ihm ein schönes Gedicht zu Gesicht kam so musste es auch abgeschrieben werden, weil die Mutter solche Bücher nicht verschaffen konnte, und auf solche Weise hat er diese Bücher voll geschrieben. Als er nun dort noch die Bürgerschule dann die Rectorschule durchgemacht und in der Schlosskirche confirmiert war, siedelte die Mutter um ihm den Besuch des hiesigen Gymnasiums zu ermöglichen hier her über; und er wurde in die Classe kl.Tertia aufgenommen, und da er durch seinen grossen Fleiss und Liebe zum Wissen grosse Fortschritte machte, kam er bei der nächsten Versetzung schon nach gross Tertia, da kannst du unsere und seine Freude dir denken und er liess es natürlich auch ferner nicht am Fleiss und Eifer fehlen und er kam wirklich das nächste mal mit auf unter Sekunda, was ihm und uns besonders lieb war weil es damals hier an der Anstalt Sitte war, dass die Schüler in ober Sekunda ein ganzes Jahr bleiben; natürlich lag ihm nun viel daran beim Nächstenmal mit nach ober Secunda mit hinüber zu kommen, aber das war dann doch für einen gewissen Geistlichen hier, der zugleich E..rus am Gymnasium und Mitglied des Consortiums war und mit dessen beiden Söhnen der Bruder viel umging zu viel; der älteste der etwas älter als der Bruder war sass ja auch noch in ober Secunda; wie konnte er da zugeben dass der arme Adolf auch schon hin kam? Die beiden jungen Leute waren übrigens auch keineswegs unbefähigt, aber ihr Vater hatte ja Geld genug warum hätten sie sich auch so anstrengn sollen? Freilich hatten sie die Anstalt von Anfang an besucht und bed. noch ein halbjahr nach der Confirmation, kurz der stolze Mann hatte aus Neid und Furcht Ad. könne seine Söhne überflügeln, es hintertrieben und der trostlose Bruder wurde nicht mit versetzt worauf er und alle seine Mitschüler mit Gewissheit gerechnet hatten. Aber dies war nun auch für die gute Mutter zu viel und sie verlangte nun dass der arme Adolf von der Schule abgehe und sich einen anderen Beruf wählen solle, dies könne ihn vielleicht ein ganzes Jahr auch halten und sie fühle dass ihre Kräfte nicht mehr ausreichten und so entschied er sich dann gebrochenen Herzens dann am liebsten Apotheker zu werden; hierrauf geht die Mut. zum Director des Gymnasiums und zeigt ihm an dass ihr Sohn von der Anstalt abgehe worauf der selbe ganz bestürzt ausruft aber beste M.Z. das werden sie doch nicht thun bedenken sie doch die herrlichen Geistesgaben dürfen doch nicht unter gehen, unseren besten Schüler dürfen sie uns nicht nehmen, so erwidert d.M. wenn sie mir selbst dies sagen dann frage ich warum ist er dann nicht versetzt? Da zuckt er mit Achseln und sagt mein Gott ich allein kann ja nicht alles durchsetzen. D.M. bleibt aber dabei in dem sie ihm ihre Gründe auseinander setzt. Und so ist er wirklich ein ¼ Jahr in der ersten Apotheke hier zur gewussten Zufriedenheit des Prizipals auf Probe gewesen, denn der Mutter war doch zu angst er könne sich am Ende doch sehr unglücklich über die Enttäuschung fühlen. Er trug es mit stiller Ergebung und wäre auch wohl wenn es sein musste ohne Murren dabei geblieben, als aber die M. die Bedingungen hörte die der Prinzipal stellte, wenn er ihn fest als Lehrling aufnahm, da erkannte sie dass sie doch auch noch nicht mit weniger Sorgen zu kämpfen haben würde und verlangte von dem lieben guten Bruder das Opfer nicht und als sie ihm nun wieder freie Wahl liess kehrte er freudigen Herzens zum Gymnasium zurück, wo er dann auch gleich nach ober Secunda versetzt wurde. Er hatte aber auch während der Probezeit die freien Stunden nicht unbenutzt gelassen hatte sich viel mit Poesie beschäftigt; hatte die besonders schöne Reihe von Lieblingsplätzen im Ballenstedter Schlossgarten in wirklich allerliebsten kl. Gedichten besungen, welche er schon von Secunda aus dem Herzog zum Geburtstage, sauber geschrieben übersandte. Mit welcher Spannung wir nun dem Ergebnis dieses Unternehmens entgegen sahen, kannst du dir denken und es währte dann auch nicht lange als ein Schreiben mit Herzg. Siegel und Aufschrift “an den Gymnasiasten A.Zeising” ankam worin ihm vom Herzogl. Canzlei angezeigt wurde, dass sie von Sr. Durchl. dem Herzog Befehl erhalten ihm seinen Dank für die ihm übersandten hübschen Gedichtchen, nebst einem beigefügten kl. Honorar zu übermitteln und zwar mit dem Bemerken, dass wenn er fortfahre auch mit Fleiss zu arbeiten und gute Fortschritte mache, ihm alljährlich diese kl. Summe, solange er das Gymnasium besuche, ausgezahlt werden solle. Dies war dann doch noch ein kl. Trost, der auch einige Hoffnung erweckte, die sich auch als er sein Abiturienten Examen mit der Ersten Nummer abgelegt hatte bewährte, denn als er sich dann mit dem Gesuche um Unterstützung auf der Universität an den Herzog wandte, gewährte ihm der menschenfreundliche Regent sofort 100 g jährlich; und mit diesem und den üblichen Landes-Stipendien etw. 50 g und einem kleinen Familien Stipendium, ich glaube ebenfalls 50 g jährlich betragend, was ihm von einem jungen Manne der sich damals hier aufhielt angetragen wurde, weil gerade in der Familie zur Zeit kein studierendes Mitglied vorhanden war, bezog er die Berliner Universität, nach dem ersten Semester ging er dann auf unser dringendes Bitten nach Halle, weil in Berlin da die Cholera furchtbar wütete; aber gleich nach einigen Wochen brach sie auch dort in erschreckender Weise aus, doch blieb er mit dem Versprechen alles zu vermeiden was eine Erkrankung herbei führen könne und uns fleissig Nachricht zu geben, dort. Aber das letzte Jahr ging er wieder nach Berlin, wo ihm der Verkehr mit Chamisso viel Freude machte. Glücklich und wohlgemuth kehrte er nun wieder zu uns zurück, und keiner war dabei wohl glücklicher als ich, hatte ich ihn doch nun wieder, der nun so herrliches zu erzählen wusste und hoffnungsvoll in die Zukunft blickte. Kurze Zeit nach seiner Rückkehr traf es sich, dass der Herzog auf einige Tage hier herüber kam und dies benutzte Papa gleich um ihm seinen Dank für die gnädig gewährte Unterstützung abzustatten und sich ihm als Ausstudierter vor zu stellen womit natürlich wieder die Bitte um baldige Versorgung verbunden war. Der gute Herr hatte sich lange auf das gründlichste mit ihm unterhalten und die Bestimmung getroffen, dass er so fort am Gymnasium mit unterrichten solle, natürlich für den Anfang unentgeldlich und ihm in kürzester Zeit die Themata zu seinem Staats Examen zugeschickt werden sollten; aber darüber verging eine Woche, ein Monath nach dem Anderen, und eines Tages erschall die Schreckenskunde hier, der Herzog sei gestorben. Das war ein Schlag aus heiterem Himmel, denn von da begannen die Intriegen des selben Geistlichen von neuem, denn er durchkreuzte alle seine Pläne und Unternehmungen denn in folge seiner Stellung erfuhr er ja alles was er zu seinem Weiterkommen unternehmen wollte. Die Themata erhielt er zwar endlich und bestand das Examen glänzend, damit war aber immer noch keine Versorgung erreicht. Den Unterricht am Gym. Ertheilte er auch aber der brachte ja nichts ein. Daneben gab er nun wohl etwas Privatunterricht in Literaturgeschichte u.s.w. und etwas später nahm er auch eine Hauslehrerstelle in der Nähe von Bernb. an, von wo er aber jeden Abend hierfür zurück kehrte um auch hier den Unterricht zu ertheilen; denn was wollte diese kleine Einnahme, gegen die mehr Ausgaben die durch sein hiersein erwuchsen. Denn wir mussten deshalb doch eine grössere Wohnung mithen; er war ja kein Kind, kein Schüler mehr der mit uns beständig in einem Zimmer sein, er bekam ja doch auch Besuche, es gab auch mal einen Freund zu bewirthen, in folge der grösseren Wohnung mussten auch Möbel zugeschaft werden sie musste im Winter geheizt werden, dazu kam auch, dass ich durch das angestrengte Arbeiten und Sorgen und den Anstrengungen welche durch die vielen Hintergehungen herbei geführt wurden in ein jahrelanges schweres Nervenleiden verfallen war und gar nichts verdienen konnte nicht einmal der Mutter in der Wirtschaft so viel Hilfe leisten wie sie wohl bedurft hätte, so dass auch diese erlahmte.

                Da mit einem Male verbreitete sich das Gerücht der älteste Sohn des bezeichneten Geistlichen treibe so sonderbare Dinge, das man unmöglich glauben könne es sei ganz richtig mit seinem Verstande; dieser, der ganze Stolz des Vaters, denn der jüngere war auch schon brustkrank, der sich auch nie um eine Stelle beworben hat, da Vermögen genug da war, aber mit diesem hatte er wohl hohe Pläne mit sich herum getragen, das war also ein jähes zusammensinken derselben, denn diese Sympthome nahmen mit rasender Schnelligkeit zu und der arme unglücklichen Mann verfiel in völligen Stumpfsinn; mich schaudert wenn ich daran denke. Da brach aber auch der Vater zusammen, das Gewissen schien zu erwachen, es war in der Zeit wo ich auch gerade so leidend war, da schickte er das schönste Obst aus seinem Garten und Wein zu meiner Stärkung, da fand sich auch eine Stelle für d. Papa wenn auch nur an der höheren Töchter-Schule. So unpassend nun auch diese Stelle für sein Wissen war, so nahm er sie doch an und hat sie, ich weiss nicht mehr genau, 1 od. 2 Jahr bekleidet. Dann kam der jetzt noch lebende General-Supperidendant Walther hier an die Spitze des Consistoriums, und als dieser Papa kennen gelernt, hat er sich förmlich entrüstet geäussert – wie man einem so begabten mit so reichen Kenntnissen ausgestatten Mann eine solche Stelle habe geben können. Da würden seine Kenntniss ja gar nicht verwerthet? Das sei ja ein Betrug gegen den Staat! Und kurze Zeit darauf bekam er dann auch Stellung am Gymnasium, zuerst als Classen Lehrer von Tertia, dann Secunda.

Als er nun seine Stellung am Gymn. hatte, war es sowohl der Mutter als mein grösster Wunsch, das er sich verheiraten müsste da wir beide fühlten, dass unsere Kräfte nicht mehr ausreichen wollten; er selbst sah ja auch, wie schwer es uns wurde auch war er ja selbst durch die vielen Hindernisse welche er hatte überwinden müssen in ein Alter gekommen, wo das Verlangen ein eigenes Haus zu gründen nur zu verständlich war, und diese deine Mama, schon als sie noch seine Schülerin war angezogen hatte, (denn er hat uns öfter Aufsätze von ihr vorgelesen, wenn er die Hefte für Schule in seiner Wohnung durch sah)  und er etwas später auch durch die Grossmama Petri in ihre Familie eingeführt war, so theilte er uns auch bald im Vertrauen mit was seine Absicht war.

Die Verlobung fand im Herbst 1842, die Hochzeit im Juli 1843 statt; doch dies wie alles Übrige weiss ja deine l. Mama selbst am besten. -  Unsere gute Mutter war gebürtig aus Hoym einem Städtchen wo ihr Vater Amts-Chirurgus war. Sie war dem Vater eine treue Lebensgefährtin und wackere Hausfrau wie für uns eine sorgsame Mutter. Sie wusste durch ihre Geschicklichkeit, Fleiss und Ordnungsliebe manches zu sparen und so den Hausstand mit Wenigem auf das verständigste zu führen.

                So habe ich dir denn mein liebes Magdchen den ganzen Lebenslauf unserer guten Eltern wie den deines lieben guten Papas, so weit meine Erinnerungen sehn, wahrheits getreu geschildert und ich muss bloss fürchten, dass dir diese lange Epistel zu langweilig wird, da ich aber nicht wusste, was dir besonders zu wissen wünschend werth sei, so habe ich dir lieber Alles geschrieben; nimm nun daraus was dir gut deucht. Wirst du es dann aber auch lesen können? Was die alte 70 jährige Tante, oft mit Thränen in den ohnehin so schwachen Augen und unsicherer Hand geschrieben? Lies es mit Nachsicht, achte der vielen Schreibfehler nicht denn auch ich befinde mich in dem Zustande der grössten Angegriffenheit und geistigen Abspannung.

                Ich stelle es dir nun ganz frei, ob du dies Ganze der Mama zu schicken willst oder wenn es zu viel scheint nur das wichtigste daraus mitzutheilen. Ich … nicht, dass mir diese Mitteilungen nicht leicht geworden denn du kannst wohl denken, dass die Erinnerung an all dies Erlebten nicht ohne Gemütsbewegung und tiefer Wehmut an mir vorüber gehn konnte; doch ist es mir selbst recht lieb, dass es noch geschehen konnte, damit deine gute Mama, wie Du und Käthchen doch mal einen tieferen Blick in unsere Vergangenheit thun könnte. Wenn wir uns sprechen könnten, würde sich auch immer etwas zu fragen finden denn die Sorge und Angst, die das Jahr 48, der g. Mutter und ihm erbrachte, kennt nur Gott; und mein Schmerz als deine g. Eltern von hier fort gingen lässt sich nicht beschreiben. Aber doch sage ich jetzt mit dankbarem Herzen, Gott hat alles wohl gemacht! Denn hier konnte er sich den Verfolgungen nicht länger aussetzen. Möge er nun in Frieden ruhn der theure Bruder und ihm all die Seligkeit zu theil werden, wie er sie sich so schön in jener Welt gedacht hat. –

                Aber bei den vielen trüben Erinnerungen will ich auch der frohen und guten Tage und Stunden, die uns dennoch geblieben waren nicht vergessen, wozu der uns vom g. Vater angeerbte frohe und zufriedene Sinn beitrug, wie sich überhaupt in der Jugend auch das Leid leichter trägt. Noch immer gedenke ich der genussreichen Abende, welche er uns durch vorlesen deutscher wie englischer Classiker bereitete wobei er uns stets zum richtigen Verständnis verhalf; ich habe damals manches von ihm gelernt, wehalb ich später seinen Umgang auch schmerzlich vermisst habe.

                Sein Tod hat durchaus für recht viel Theilnahme erregt. Es haben mir mehrere Damen, mit denen ich sonst gar nicht verkehre Besuch gemacht und seiner ehrend gedacht, selbst auf der Strasse bin ich in solcher Weise angeredet. Ich hatte seinen Heimgang in unserm Tagsblatt angezeigt, wobei gleichzeitig beifolgender Artikel erschien; bitte sende ihn d.g.Mama mit, es macht ihr u. Käthchen vielleicht etwas Freude.

 

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