17. Nov. 1956

Sehr geehrter Herr Dr. Jungk!

 

Haben Sie vielen herzlichen Dank dafür, dass Sie mir Ihr schönes und interessantes Buch über die Atomforscher durch den Verlag haben zuschicken lassen. Da ich in den letzten Tagen krank war, hatte ich Gelegenheit, es ganz zu durchzulesen, und ich finde, dass Sie die Atmosphäre unter den Atomphysikern im ganzen gut getroffen haben. Die Tatsache, dass Sie manche heiklen Fragen aufgegriffen haben, mag für den einen oder anderen vielleicht auch zu Schwierigkeiten führen. Aber diese Gefahren sind wohl nicht gross. Dass Sie am Schluss den Frank-Report und Bohrs Memorandum an Roosevelt abgedruckt haben, scheint mir ein besonderer Vorzug Ihres Buches. Denn man kann nachträglich kaum leugnen, dass hier die Naturwissenschaftler die politische Entwicklung richtiger beurteilt und analysiert haben, als es zu jener Zeit die Staatsmänner taten.

Im einzelnen habe ich aber doch auch zu verschiedenen Stellen Ihres Buches kleine Anmerkungen zu machen, die Ihnen bei einer zweiten Auflage vielleicht dazu helfen können, kleinere Fehler (die bei einem solchen Werk ja wohl unvermeidlich sind) zu verbessern.

Zunächst auf S. 52: Dieser Punkt ist mir sogar ziemlich wichtig. Sie schildern Weizsäckers politische Haltung (ich nehme an etwa aus Gesprächen mit Teller) und gegen Schluss formulieren Sie: "Er (Teller) musste annehmen, sein alter Studienfreund werde Hitler die Treue halten." Obwohl dies im Nachsatz dann bestritten wird, glaube ich doch, dass der genannte Satz ein völlig falsches Bild von Weizsäckers politischer Haltung vermittelt. Ich habe Weizsäcker in der Zeit von 1931 bis 1935 fast täglich gesehen und kenne seine politischen Ansichten in jener Zeit wohl besser als irgendein anderer. Weizsäcker hat zunächst die Persönlichkeit Hitlers und die von seiner Bewegung begangenen Verbrechen genau so verabscheut wie jeder andere anständige Mensch. Diesem Abscheu, der sich auch später nie verringert hat, mag sich im Laufe der Zeit eine mit Grauen gemischte Bewunderung hinzugefügt haben, als er (durch seine Familie) aus nächster Nähe sah, wie es Hitler gelang, all den hochqualifizierten Menschen, die sich im guten Sinn um die deutsche Politik bemühten, die Macht aus der Hand zu winden, und wie im Ausland praktisch widerstandslos alle Zugeständnisse gemacht wurden, um die sich Brüning und Stresemann immer vergeblich bemüht hatten. Von irgendeinem Treuegefühl Weizsäckers Hitler gegenüber ist sicher niemals auch nur entfernt die Rede gewesen.

Mit dem Beginn des Krieges entstand natürlich für jeden deutschen Physiker das schreckliche Dilemma, dass er mit seinen Handlungen entweder für den Sieg Hitlers oder für die Niederlage Deutschland wirken musste, und natürlich erschienen uns beide Alternativen schrecklich. Im übrigen musste doch wohl auch für die auf allierter Seite wirkenden Physiker ein ähnliches Dilemma bestanden haben, denn sie mussten sich, wenn sie für den Krieg eingesetzt waren, ja auch für den Sieg Stalins und den Einzug der Russen nach Europa einsetzen. Die deutschen Physiker haben sich in dem genannten Dilemma wohl im ganzen so verhalten, dass sie versuchten zu bewahren, was an Wertvollem zu bewahren war, und das Ende der Katastrophe abzuwarten, sofern man glücklich genug war, es zu erleben.

Dann zu S. 91: An die Begegnung mit Fermi im Hause Goudsmit kann ich mich gut erinnern, aber überhaupt nicht mehr daran, dass Fermi das Uranproblem erwähnt hätte. Die Möglichkeit, dass Atombomben schon im kommenden Krieg verwendet werden könnten, habe ich damals sicher nicht ernstlich ins Auge gefasst; vielleicht aus Angst innerlich verdrängt. Jedenfalls kann ich mich, wie gesagt, an die Erwähnung des Uranproblems nicht mehr erinnern, und vielleicht ist auch dieser Mangel an Erinnerung ein Zeichen der damaligen Verdrängung. Die Unterredung mit Pegram fand erst etwas später statt, und ich habe Pegram damals aus voller Überzeugung gesagt, dass ich glaubte, dass Hitler den kommenden Krieg verlieren würde, dass ich aber das Gefühl hätte, in der Zeit der Katastrophe in Deutschland sein zu sollen, damit ich mithelfen könnte, das Gute zu bewahren, soweit es noch bestand. Auch bei dieser Unterredung habe ich an die Möglichkeit, dass die Atombombe im Kriege mit Hitler eine Rolle spielen könnte, nicht ernstlich gedacht, da ich einerseits hoffte, dass der Krieg schneller zu Ende gehen würde, und andererseits die Schwierigkeiten bei der Konstruktion der Atombombe (über die ich damals noch nicht nachgedacht hatte) gefühlsmässig für ausserordentlich gross hielt.

Zu S. 100: Sie sprechen hier gegen Ende des zweiten Absatzes von aktivem Widerstand gegen Hitler, und ich glaube - entschuldigen Sie, wenn ich dies so offen schreibe - dass dieser Passus von einem völligen Missvertständnis einer totalitären Diktatur bestimmt ist. In einer Diktatur kann aktiver Widerstand nur von Leuten ausgeübt werden, die scheinbar beim System mitmachen. Wenn jemand sich öffentlich gegen das System ausspricht, so beraubt er sich damit ganz sicher jeder Möglichkeit eines aktiven Widerstandes. Denn entweder er äussert diese Kritik am System nur gelegentlich in politisch harmloser Form, dann kann sein politischer Einfluss sehr leicht abgeriegelt werden; etwa gegenüber der Jugend, indem man verbreitet: Nun ja, der alte Professor X ist ja ein netter alter Mann, aber er kann natürlich kein Verständnis für die Begeisterung der Jugend aufbringen, oder dergleichen. Oder aber der Betreffende versucht wirklich, etwa die Studenten politisch in Bewegung zu setzen, dann würde er natürlich nach wenigen Tagen im Konzentrationslager enden, und selbst sein Opfertod würde praktisch unbekannt bleiben, weil nicht von ihm geredet werden darf. Ich möchte diese Bemerkung nicht dahin missverstanden wissen, dass ich selbst einen Widerstand gegen Hitler ausgeübt hätte. Ich habe mich im Gegenteil immer sehr geschämt vor den Leuten des 20. Juli (mit einigen von ihnen war ich befreundet), die damals unter Aufopferung ihres Lebens wirklich ernsthaft Widerstand geleistet haben. Aber auch ihr Beispiel zeigt, dass wirklicher Widerstand nur von Leuten kommen kann, die scheinbar mitspielen. Das berühmteste Beispiel war bei uns Canaris, der uns übrigens auch bei der Bewahrung des Physikerkreises gelegentlich geholfen hat.

Zu S. 175: Bei der kleinen Episode während meiner Fahrradtour nach Urfeld handelte es sich um folgendes. Da alle männlichen Zivilisten zum Volkssturm eingezogen waren, geschah es nicht selten, dass diese Zivilisten von der Front ins Hinterland flüchteten. Um dies zu verhindern, hatte die SS an den Strassen SS-Posten aufgestellt, die solche Flüchtlinge festzunehmen hatten, worauf sie nicht selten ohne längeres Kriegsgericht aufgehängt wurden. Auf diese Gefahr hatte ich mich an sich durch einen Ausweis vom Institut vorbereitet. Ein SS-Mann erkannte aber, dass ein solcher Ausweis allzu leicht im Institut hergestellt werden konnte, und er sagte mir, dass er mich seinem Kommandeur vorführen müsste. Diese sehr gefährliche Wendung konnte ich durch die Bestechung mit dem Päckchen Pall-Mall-Zigaretten wieder abwenden. Im übrigen war meine Abreise vom Institut natürlich weder eine Flucht vor den Truppen des Colonel Pash noch vor dem Volkssturm, sie war mit dem Institut genau verabredet und hatte nur den Sinn, dass ich glaubte, meiner Familie in der Zeit der letzten Kämpfe beistehen zu müssen. Ich war daher in Hechingen geblieben bis zu dem Zeitpunkt, als der Volkssturm schon aufgelöst war und die französischen Panzer schon einrollten. Ich fuhr dann nachts um 3 Uhr aus Hechingen mit dem Fahrrad fort.

Nun noch einige Kleinigkeiten. Auf S. 177 muss es Urfeld und nicht Urbach heissen. Auf S. 224: Ich las fast alle Werke des englischen Romanciers Anthony Trollope, nicht Tobias Smollet. Und schliesslich S.225: Bei der ersten Meldung glaubte ich in der Tat nicht an die Atombombe, da ich wusste, welch ein ungeheurer technischer Aufwand zur Herstellung von Atombomben notwendig war. Erst bei den zweiten Radionachrichten, als eben über diesen ungeheuren Aufwand berichtet wurde, sah ich ein, dass in Amerika tatsächlich viele Milliarden für die Atombombe ausgegeben worden waren und dass Hunderttausende von Menschen daran gearbeitet hatten. Die Idee, dass die Amerikaner einen Pile abgeworfen hätten, habe ich sicher nach der zweiten Radiosendung nicht ernstlich in Betracht gezogen, da das ja nur eine sehr begrenzte Wirkung durch radioaktive Verseuchung gehabt hätte und da das ja in der Tat ganz leicht gewesen wäre, denn wir nahmen sicher an, dass die Amerikaner Piles leicht herstellen könnten, wenn sie sich dafür interessierten. Aber der Unterschied zwischen Pile und Bombe war uns völlig klar, und, ich glaube, schon am Tag danach haben wir in einem Seminar die ungefähren Dimensionen und das Funktionieren einer Bombe ausgerechnet. Vielleicht darf ich dabei erwähnen, dass ich einmal im Jahr 1944 von einem Beauftragten Goerings, der in mein Institut kam, gefragt wurde, es seien Nachrichten durch Spionage nach Deutschland gekommen, nach denen die Amerikaner in Kürze eine Atombombe auf deutschen Gebiet abwerfen würden, und ob ich dies für möglich hielte. Ich habe damals geantwortet, dass ich es zwar zu diesem Zeitpunkt (Sommer 1944) noch für sehr unwahrscheinlich hielte, da die Herstellung der Atombombe einen ganz enormen technischen Aufwand vorraussetze, dass ich es aber nicht völlig ausschliessen könne.

S. 227: Der Schlussatz des englischen Offiziers ist nicht an Hahn gerichtet worden; tatsächlich war Hahn bei dieser Unterredung gar nicht dabei, und ich bin überzeugt, dass der englische Offizier schon aus Taktgefühl Hahn nicht in dieser Weise geantwortet hätte. Es handelte sich um eine Unterhaltung, die, wenn ich mich recht erinnere, zwischen dem englischen Offizier, Weizsäcker und mir stattfand. In diesem Gespräch, das von der moralischen Berechtigung des Bombenabwurfs handelte, fühlte sich der Offizier schliesslich in einer Art von Verlegenheit zu der Äusserung gedrängt, dass wir doch verstehen müssten, dass ihnen das Leben eines englischen oder amerikanischen Soldaten wichtiger sei als das Leben von 70000 japanischen Zivilisten. Einer von uns antwortete dann: "Aber damit sind Sie doch sehr nahe bei den Moralbegriffen von Herrn Hitler". Der Offizier, mit dem wir sonst sehr freundschaftlich standen, verliess uns darauf mit einem etwas verstörten Gesicht. Ganz sicher hat uns der Offizier nicht mit seiner Äusserung kränken wollen, und wahrscheinlich war er selbst später ziemlich unglücklich über diese Äusserung.

Es wäre schön, wenn Sie bei einer zweiten Auflage noch einige Verbesserungen anbringen könnten, und ich nehme an, dass Ihnen auch von anderen Atomphysikern solche Verbesserungen vorgeschlagen werden. Noch einmal vielen Dank für Ihr interessantes Buch.

Mit vielen Grüssen

Ihr (gezeichnet H, wie alle Kopien seiner Briefe)

 

 

 

18. Jan. 1957

 

Lieber Herr Dr. Jungk!

Haben Sie vielen Dank für Ihren Brief, in dem Sie mich bitten, Ihnen noch etwas ausführlicher über meine Kopenhagener Unterhaltungen mit Bohr während des Zweiten Weltkrieges zu schreiben. In meiner Erinnerung, die mich natürlich nach so langer Zeit auch trügen kann, hat sich die Unterhaltung etwa in folgender Weise abgespielt. Mein Besuch in Kopenhagen war im Herbst 1941; ich glaube mich zu erinnern, dass es etwa Ende Oktober gewesen ist. Um diese Zeit waren wir im "Uranverein" auf Grund unserer Experimente mit Uran und schwerem Wasser zu folgender Meinung gekommen: Es wird sicher möglich sein, einen Reaktor aus Uran und schwrerm Wasser zu bauen, der Energie liefert. In diesem Reaktor wird (auf Grund einer theoretischen Arbeit von v. Weizsäcker) ein Folgeprodukt von Uran 239 entstehen, das sich ebenso wie Uran 235 als Sprengstoff für Atombomben eignet. Für die Gewinnung von Uran 235 wussten wir damals kein Verfahren, das mit einem technisch in Deutschland und unter Kriegsverhältnissen realisierbaren Aufwand zu nennenswerten Quantitäten geführt hätte. Da auch die Gewinnung des Atomsprengstoffes aus Reaktoren offenbar nur durch den jahrelangen Betrieb von riesigen Reaktoren verwirklicht werden konnte, waren wir uns jedenfalls klar darüber, dass die Herstellung von Atombomben nur mit einem ungeheuren technischen Aufwand möglich sein würde. Wir wussten also, dass man grundsätzlich Atombomben machen kann, haben aber den dazu nötigen technischen Aufwand eher für noch grösser gehalten, als er dann tatsächlich war. Diese Situation schien uns eine besonders günstige Vorraussetzung dafür, dass die Physiker Einfluss auf das weitere Geschehen nehmen konnten. Denn wäre die Herstellung von Atombomben unmöglich gewesen, so wäre das Problem gar nicht entstanden; wäre sie aber leicht möglich gewesen, so hätten die Physiker sicher die Produktion nicht verhindern können. Die tatsächlich vorhandene Situation aber räumte den Physikern um diese Zeit einen entscheidenden Einfluss auf das weitere Geschehen ein, da sie ihren Regierungen gegenüber gut argumentieren konnten, dass die Atombomben wahrscheinlich im Laufe des Krieges nicht mehr ins Spiel kommen würden, oder auch argumentieren konnten, dass es mit Hilfe ganz ungeheurer Anstrengungen vielleicht doch noch möglich sein werde, sie ins Spiel zu bringen. Das beide Arten zu argumentieren sachlich voll berechtigt waren, hat die weitere Entwicklung gezeigt; denn tatsächlich haben ja auch die Amerikaner die Atombombe gegen Deutschland nicht mehr einsetzen können. In dieser Lage glaubten wir, dass ein Gespräch mit Bohr nützlich sein könnte. Dieses Gespräch fand dann statt auf einem abendlichen Spaziergang in dem Stadtviertel in der Nähe von Ny-Carlsberg. Da ich wusste, dass Bohr von deutschen politischen Stellen überwacht wurde und dass Äusserungen Bohrs über mich höchst wahrscheinlich wieder nach Deutschland gemeldet wurden, habe ich versucht, das Gespräch so in Andeutungen zu halten, dass ich mich damit nicht unmittelbar in Lebensgefahr brachte. Das Gespräch mag damit begonnen haben, dass ich etwas beiläufig die Frage stellte, ob es eigentlich richtig sei, dass die Physiker sich jetzt in Kriegszeiten mit dem Uranproblem beschäftigten, da doch immerhin mit der Möglichkeit gerechnet werden müsste, dass die Fortschritte auf diesem Gebiet zu sehr schwerwiegenden Konsequenzen in der Kriegstechnik führen könnten. Bohr hat die Bedeutung dieser Frage sofort verstanden, wie ich aus seiner etwas erschreckten Reaktion entnahm. Er hat nach meiner Erinnerung etwa mit der Gegenfrage geantwortet: "Ja glaubst Du denn wirklich, dass man die Uranspaltung zur Konstruktion von Waffen ausnützen kann?" Ich mag dann etwa geantwortet haben: "Ich weiss, dass dies im Prinzip möglich ist, aber es würde wohl ein ungeheurer technischer Aufwand dazu gehören, von dem man hoffen kann, dass er in diesem Kriege nicht mehr geleistet werden wird." Bohr war offenbar über diese Antwort so erschrocken, dass er glaubte, ich wollte ihm damit sagen, dass Deutschland grosse Fortschritte in Richtung auf die Konstruktion von Atomwaffen gemacht habe. In meinem nun folgenden Versuch, diese falsche Reaktion zu korrigieren, ist es mir wohl nicht gelungen, Bohrs Vertrauen völlig zu gewinnen, besonders da ich immer nur wagte, in ganz vorsichtigen Andeutungen zu reden (was sicher ein Fehler von mir war) aus Angst, auf irgendeinen Wortlaut später festgelegt werden zu können. Ich fragte dann Bohr noch einmal, ob es nicht in Anbetracht der offensichtlichen moralischen Bedenken möglich wäre, dass alle Physiker sich darüber einigten, dass man die Arbeit an Atombomben. Die ja sowieso wohl nur mit einem ungeheuren technischen Aufwand hergestellt werden könnten, gar nicht versuchen sollte. Aber Bohr meinte, dass es wohl hoffnungslos sei, auf das Geschehen in den einzelnen Ländern Einfluss zu nehmen, und dass es sozusagen der natürliche Lauf der Welt wäre, dass die Physiker in ihren Ländern an der Produktion von Waffen arbeiten. Zur Erklärung dieser Antwort muss man noch auf folgende Schwierigkeit hinweisen, die nach meiner Erinnerung zwar sicher nicht besprochen wurde, die mir aber bewusst war und die auch Bohr bewusst oder unbewusst im Sinn gelegen haben mag. Die Aussicht, noch im Kriege Atombomben herzustellen, war damals auf Grund der ganzen Vorgeschichte auf der amerikanischen Seite unvergleichlich viel grösser als auf der deutschen. Deutschland hatte seit 1933 eine Reihe ausgezeichneter deutscher Physiker durch Emigration verloren, die Laboratorien der Universitäten waren infolge der Vernachlässigung durch die Regierung veraltet und schlecht ausgerüstet, die begabten jungen Leute vielfach in andere Berufe abgedrängt. In den Vereinigten Staaten aber waren viele Universitätsinstitute seit 1932 völlig neu und modern ausgerüstet und auf Kernphysik umgestellt worden. Grössere oder kleinere Zyklotrons waren an verschiedenen Stellen in Betrieb genommen worden, viele tüchtige Physiker waren eingewandert, und das Interesse für Kernphysik war auch in der Öffentlichkeit sehr gross. Unser Vorschlag, dass die Physiker auf beiden Seiten die Herstellung von Atombomben nicht vorantreiben sollten, war also indirekt, wenn man es überspitzt ausdrückt, ein Vorschlag zu Gunsten von Hitler. Die instinktive menschliche Einstellung "Atombomben kann man doch als anständiger Mensch nicht machen" traf sich also mit einer Begünstigung für Deutschland. Inwieweit das einen Einfluss auf die Reaktion von Bohr gehabt hat, weiss ich natürlich nicht. Alles, was ich schreibe, ist ja gewissermassen eine nachträgliche Analyse einer sehr komplizierten psychologischen Situation, die kaum in allen Punkten richtig sein kann. - Ich selbst war über das Ergebnis dieses Gesprächs sehr unglücklich. Das Gespräch ist dann einige Wochen oder Monate später ja noch einmal von Jensen aufgegriffen worden, aber auch ohne Erfolg. Auch jetzt habe ich kein gutes Gewissen bei dem Aufschreiben dieses Gesprächs, da der Wortlaut der einzelnen Äusserungen sicher nicht mehr richtig sein kann, und es auf sehr feine Nuancen ankäme, wenn man den eigentlichen Inhalt des Gesprächs in den psychologischen Schattierungen richtig wiedergeben wollte.

Die zweite Frage Ihres Briefes bezog sich auf meine angeblich geplante Entführung aus Göttingen im Jahr 1947. Dieses Geschehen kann man nachträglich natürlich nur von der humoristischen Seite nehmen. Es hat den Engländern, die uns zu betreuen und zu bewachen hatten, viel Kummer gemacht, und sie mussten uns, d.h. Hahn und mich, sogar für einige Zeit aus Göttingen an eine andere Stelle bringen. Es tauchten programmgemäss vor meinem Göttinger Haus in der Nacht zwei vermummte Gestalten auf, denen eine hohe Belohnung versprochen worden war, wenn sie mich einem Agenten ablieferten, und diese beiden Gestalten erwiesen sich, als sie dingfest gemacht wurden, als zwei Hamburger Hafenarbeiter, die auf diese Weise billig zu Geld kommen wollten. Tatsächlich war aber der Mann, der die Hafenarbeiter engagiert hatte, identisch mit jenem anderen, der die Engländer von dem ganzen Plan unterrichtet hatte; es war ein Btrüger, der sich auf diese Weise eine gute Position beim Secret Service sichern wollte. Erst nach einem Jahr kam der ganze Schwindel heraus und hat uns natürlich viel zu lachen gegeben.

Mit dem, was Sie in Ihrem Brief über Weizsäcker schreiben, bin ich einverstanden. Nur ist ja dieses "Verständnis für den Nationalsozialismus in seinen Anfängen" doch noch etwas sehr anderes als der Terminus "Treue gegenüber Hitler", den Sie in Ihrem Buch gebraucht haben. Man konnte in den ersten Jahren doch durchaus ein gewisses "Verständnis für den Nationalsozialismus" mit der Abscheu gegen die Person seines Leiters, Hitler, verbinden, etwa in der Form, dass man darüber verzweifelt war, dass "ein echtes idealistisches Streben des deutschen Volkes von einer so unerfreulichen Gestalt wie Hitler missbraucht wurde". Die Identität "Hitler gleich Nationalsozialismus" ist zwar durch die Folgezeit bewiesen worden, war aber in den ersten Anfängen vielen Deutschen noch nicht klar.

Sollten Sie den Absatz über mein Gespräch mit Bohr in Ihrem Buch noch einmal verändern, so wäre ich Ihnen dankbar, wenn ich den Text vor der Veröffentlichung sehen und eventuell verbessern könnte.

 

Mit vielen herzliche Grüssen

Ihr (gez. H. wie alle Kopien seiner Briefe)

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